Mythologisches Lexikon – R

Raben: Siehe Hugin und Munin.

Radbard: Der zweite Gatte der Aud und Vater des Randwer.

Radgrid: Eine der Walküren und Tochter des Odin.

Ragnarök: >Letztes Geschick<, >Geschick der Götter< oder fälschlicherweise >Götterdämmerung<, der in der Wöluspa (>der Seherin Gesicht<) visionär beschriebeneWeltuntergang, in Verbindung mit dem Endkampf zwischen den Asen und denRiesen mit ihren Verbündeten.

Vorzeichen kündigen die Ragnarök an: Anwachsen der Dämonenbrut, Sonnenfinsternis undFimbulwinter, das Brechen der Sippenbande; „Brüder kämpfen und bringen sich Tod, Brudersöhne brechen die Sippe; arg ist die Welt, Ehbruch furchtbar, Schwertzeit, Beilzeit, Schilde bersten, Windzeit Wolfzeit, bis die Welt vergeht – nicht einer will des anderen schonen“ (Wöluspa, Strophe 37). Den Beginn des Weltuntergangs signalisieren Heimdall mit dem Gjallarhorn, die krähenden Hähne und der heulende Garm; der Weltbaum Yggdrasil erzittert, das Totenschiff Naglfar kommt vom Anker los, das Dämonenheer rückt den Göttern in Asgard zuleibe.

In Zweikämpfen unterliegt Odin dem Wolf Fenrir, Freyr dem Feuerriesen Surt; gegenseitig töten sich Thor und die Midgardschlange, Heimdall und Loki, Tyr und der Höllenhund Garm.

Auf den Tod der Götter folgt die Vernichtung des Kosmos: „Die Sonne verlischt, das Land sinkt ins Meer; vom Himmel stürzen die heiteren Sterne. Lohe umtost den Lebensnährer; hohe Hitze steigt himmelan“ (Wöluspa, Strophe 49). Über dieses apokalyptische Geschehen hinweg sieht die Seherin (Wölwa) eine neue Erde auftauchen und die Wiederkehr der Götter Balder undHöd in ein freudvolles Leben auf Gimle. Auf dem Idafeld finden sich die anderen überlebenden Götter ein: Widar und Wali, Magni und Modi.

Snorri erweitert diese Vorstellung: zu den Überlebenden gehört auch das Menschenpaar Lif (>das Leben<) und Lifthrasir (>der nach Leben Strebende<). Seine Eschatologie ist, stärker noch als die der Wöluspa, von christlichen Einflüssen bestimmt. War die literarisch durchgeformte und bereits artifizielle Wöluspa ein „Sammelbecken alter Endzeitauffassungen“ (Eduard Neumann), so wird Snorris geschlossen komponierter Ragnarök – Mythos „geprägt durch die Reaktion auf christliche Vorstellungen im ausgehenden 10. Jahrhundert“, insbesondere durch „die christlichen Endzeiterwartungen zum Ende des Jahrtausends“ (Kurt Schier).

Ran: Ein riesiges Meerweib, die Gattin des Meergottes Ägir, mit dem sie neun Töchter hat (Personifikationen der Meereswogen): diese neun, die ;mit Odin als Vater,den Asen Heimdallgebären, heißen Angeyja, Atla, Eistla, Erygjafa, Sjalp, Greip, Imd, Jarnsaxa und Ulfrun. Ran hat ein leuchtendes Netz, mit dem sie die Schiffbrüchigen und die Ertrunkenen im Meer fängt. „Zur Ran fahren“ ist eine Umschreibung für Ertrinken. Ran herrscht über ein besonderes, von der Helgetrenntes Totenreich, in dem, ähnlich wie in der Walhall, Bier und Met in Strömen fließen.

Randgrid: Eine der Walküren.

Randwer: Sohn des Königs Jörmunrek, der ihn als Brautwerber zu Swanhild schickt. Später wird Randwer von Bikki des Ehebruchs mit seiner jungen Stiefmutter bezichtigt, sein Vater lässt ihn daraufhin hängen.

Randwer: Sohn des Radbard und der Aud, ein Halbbruder von Harald Kampfzahn.

Ratatosk: >Nagezahn<, ein Eichhörnchen, das beständig die Esche Yggdrasil hinauf – und hinunterklettert; es trägt dem Adler oben und dem Drachen Nidhögg unten zu, was einer über den anderen gesagt hat, und sät so Zwietracht.

Rater: Synonym für Asen; vor allem gebräuchlich in den Redeformeln der Wöluspa (>der Seherin Gesicht<) „Zum Richtstuhl gingen die Rater alle …“ und im Wafthrudnirlied: „Rater und Riesen“.

Ratstark: Name eines Erdzwergs.

Recke: Ein Erdzwerg.

Refil: Das selbstgeschmiedete Schwert des Regin.

Regin: Ein Sohn des Hreidmar, den er gemeinsam mit seinem Bruder Fafnir ermordet, um an Andwaris Goldschatz (Otrs Buße) heranzukommen. Als Fafnir ihm den vorenthält, stiftet Regin den Sigurd zur Bluttat an; als gelernter Schmied hat er ihm Gram geschmiedet (und sich selbst das Schwert Refil). Regin trinkt das Blut des getöteten Fafnir und wird wegen seiner Ränke von Sigurd erschlagen.

Reginleif: Eine der Walküren.

Reifriesen: Auch >Reifthursen< oder >Frostriesen<, das sich von Ymir ableitendeRiesengeschlecht. Ymir selbst entstand aus schmelzendem Eis und pflanzte sich ungeschlechtlich fort, d.h. während des Schwitzens im Schlaf. Ein sehr profilierter Reifriese ist auch Hymir, der sich mit Thor eine denkwürdige Anglerpartie liefert.

Dem Grimnirlied zufolge hausen die Reifthursen unter einer der drei Wurzeln von Yggdrasil. Der Weltuntergang (Ragnarök) kündigt sich in der Prophezeiung der Wölwa so an: „Yggdrasils Stamm steht erzitternd, es rauscht der Baumkreis; der Riese kommt los. Alles erbebt in der Unterwelt, bis der Bruder Surts den Baum verschlingt“ (Wöluspa, Strophe 39).

Riesen: Etymologisch wird unterschieden in Thursen und Jöten; in der eddischen Dichtung werden die Begriffe jedoch synonym verwendet. Riesen sind die Antipoden der Asen, sind menschenähnliche Elementardämonen von ungezügelter roher Kraft und übermäßigen Wuchs; das unterscheidet sie kräftig von den Alben und den Zwergen. Sie entstammen dem Urzeitalter (Ymir, der erste ihrer Rasse) und sind mit den Asen, obschon verfeindet, auch vielfach verwandt. In Beziehung treten sie vor allem zu Odin, der aus Mimirs Brunnen Weisheit und Zukunftswissen schöpft und mit Wafthrudnir eine Wissenswette austrägt. Freyr und Njörd haben Riesinnen zur Frau, und auch die ElternLokis sind Thursen.

Erklärter Gegner der Riesen ist Thor, der häufig genug auf Ostfahrt geht und in Jötunheim (dort, östlich Midgards, wohnen die meisten Riesen) viele von ihnen tötet. Die Episoden um Geirröd, Hrungnir, Hymir, Thazi, Thrym sind dafür Beispiel genug. Einzig in Utgard – Loki findet Thor seinen Meister.

In den Ragnarök treten alle Riesengeschlechter d.h. die geistlosen Naturgewalten gegen die Götter an: Bergriesen, Feuerriesen, Reifriesen, Steinriesen, Sturm – und Wasserriesen. Asen und Riesen vernichten sich gegenseitig.

In der nordischen Mythologie ist durchweg von vier Bereichen die Rede: denen der Götter, der Riesen, der Toten und der Menschen. Das Gefühl der Riesenhaftigkeit, Kälte und Gewalt steht in Einklang mit dem langen, harten skandinavischen Winter.

Riesenbaumeister: Der mythische Handwerker mit dem Arbeitspferd Swadilfari, der den Bau der Befestigungsanlage von Asgard versprach, zum Schutz gegen Berg – undReifriesen. Als Gegenleistung bedang er sich Freyja, Mani und Sol aus. Noch drei Tage fehlten an dem vereinbarten Abnahmetermin, da bekamen die Götter Angst. Der Bau ließ sich nur stoppen, indem Loki, in eine Stute verwandelt, den Hengst verführte und die Arbeit sich dadurch verzögerte. Der Baumeister geriet „in Riesenzorn“, entlarvte sich dadurch als Bergriese und wurde von Thor letzten Endes mit Mjöllnir erschlagen. Monate später gebar Loki, als Ergebnis der Affäre mit Swaldilfari, den Sleipnir. Aus den Andeutungen in der Wöluspa Strophe 19/20 formt Snorri diesen Mythos aus.

Riesenheim: Siehe Jötunheim.

Rig: Der rätselhafte Gott, vermutlich Heimdall, der unter den Menschen („Heimdalls Söhnen“) erscheint und die drei Stände – Knechte, freie Bauern/ Karle, Jarle – schafft: überliefert im „Merkgedicht von Rig“ (Lieder Edda).

Rind: Eine Riesin, Tochter des Billing. Odin zeugt mit ihr den Wali, den Rächer seines Halbbruders Balder.

Nach der Naturanschauung befruchtet Odin als Symbol der Sonne, abends im Westen Rind, wenn er die Erde zu berühren scheint. Saxo Grammaticus sah den Vorgang drastischer: Odin habe zunächst kein Gehör bei Rind gefunden, in welcher Gestalt auch immer er sich ihr näherte; schließlich berührte er sie mit Runen, auf eine Baumrinde geritzt, machte sie dadurch wahnsinnig – und bot sich dann an, die gefesselte Kranke zu heilen. Bei der Gelegenheit sei es ihm gelungen, sie zu schwängern.

Rödul: Ein Beiname der Sol.

Röskwa: Die Schwester des Thjalfi. Beide wurden zur Buße von Thor als Diener angestellt und begleiten ihn oft, so zu Skrymir und auf die Burg des Utgard – Loki.

Rolf: Siehe Hrolf Kraki.

Rota: Eine der drei Walküren, die wie Gudrun und Skuld den Kriegern in der Schlacht voranreitet und die Wal kiest.

Runen: Die ältesten Schriftzeichen der Germanen, zumeist aus geraden Strichen und einfachen Bögen, um sie in Stein, Holz, Leder, Horn und Knochen oder Metall einritzen zu können. Jede Rune bezeichnet zugleich einen Buchstaben und einen Wortlaut; bald wurden sie auch zu magischen Sinnbildern, zu segnenden und verfluchenden Zauberformeln (Thule Band 2, Nr. 25 und 26). Die Runen gelten als göttliche Schöpfungen und Odin als ihr Urheber. In Bragis Zunge, inSleipnirs Gebiss sind magische Zeichen eingeritzt. Es gibt Siegrunen auf Schwertern, Äl – Runen auf Trinkhörnern, Gebärrunen zur Erleichterung der Geburt, Brandungsrunen für sichere Schifffahrt, Astrunen für ärztliche Diagnostik usw.

Das sogenannte „jüngere“ nordische Runenalphabet hat 16 Typen im Gegensatz zum alten Alphabet von 24 Zeichen; es ist gewissermaßen seine Verkürzung. In der Art eines Merkgedichts fasst das „Abecedarium Nordmannicum“ (Codex 878 n.Chr., St. Gallen) die 16 Runen und ihre dazugehörigen Namen zusammen.

Als einer der wenigen Runenmeister wird Rig angesehen („das Merkgedicht von Rig“, Strophe 37). Der oberste Runenmeister ist, natürlich, Odin. Für mehr Informationen siehe unsere Runenseite